Frank Goecke / Aktuelles

03.10.2023

Buchempfehlung: «Gegen Frauenhass» von Christina Clemm

Eine Buchempfehlung auf der Homepage eines Anwaltsbüros? Ja klar! Denn dieses Sachbuch der Berliner Anwältin Christina Clemm sollte nicht nur im Bücherregal von Richtern, Staatsanwältinnen und Opfervertretern stehen, sondern ist für jeden und jede mit einem Interesse an diesem gesellschaftlichen Skandal eine lohnende Lektüre.

Clemm geht zunächst der Frage nach, woher dieser Hass kommt, der dann in Gewaltverbrechen gegen Frauen mündet. Mit guten Argumenten und immer wieder mit Beispielen aus ihrer Berufspraxis zeigt sie auf, dass es den Tätern in aller Regel um Macht über den Frauenkörper geht und dass es unsinnig ist, von Verbrechen aus Leidenschaft oder gar Liebe zu sprechen, wie das ab und an sogar von Richter:innen zu hören ist. 

Spannend ist das Buch auch deshalb, weil die Autorin zwar aus ihrer Berufserfahrung schöpf, sie sich aber vor allem für die grossen Zusammenhänge interessiert, wie beispielsweise: Was haben diese Verbrechen mit alltäglichem Sexismus und der Sprache zu tun? Wie stark engagiert sich die (deutsche) Gesellschaft und insbesondere die Justiz für die Opfer oder eben gerade nicht? Weshalb bleiben viele Täter straflos? Inwiefern ist auch die Medizin sexistisch? Und schliesslich: wie kommt es, dass weibliche Gewaltopfer nach der Tat auch noch ökonomisch zum Opfer werden? 

Vieles, was Clemm beschreibt, hat auch für die Schweiz Gültigkeit. Dies fängt bei den immer noch bestehenden Ungeheuerlichkeiten im Justizalltag an – der Strafprozess ist auch heute noch täterzentriert, der Opferschutz wird bei einem anschliessenden Trennungsverfahren vor dem Familiengericht oft gar nicht beachtet - und geht bis zur auch von der Schweiz unterzeichneten Istanbul-Konvention, welche den umfassenden Gewaltschutz für Frauen garantiert. Ebenso wie im Nachbarland hat die Umsetzung dieses Schutzes offenbar auch in der Schweiz nicht gerade oberste Priorität. 

Das Buch ist jedoch nicht einfach eine Aufzählung von traurigen Schicksalen und empörenden Fehlleistungen von Gesellschaft und Justiz. Das Buch macht schliesslich auch Mut. Clemm schreibt, dass Solidarität die Waffe ist, die wir gegen den Hass und die Angst haben und erzählt die bewegende Geschichte ihrer Mandantin, die mit zwei Freundinnen ihren Peiniger aufsucht und ihm ins Gesicht sagt, dass sie künftig nicht mehr vor ihm weglaufen werde. Der Täter ist verstummt. Clemm hat einen Katalog verfasst, wie sich diese Solidarität ganz konkret umsetzen lässt. Weiter legt sie einen Forderungskatalog vor, der sich an Staat und Politik wendet, und den man auch unseren Entscheidungsträger:innen ans Herz legen möchte.   

Christina Clemm: «Gegen Frauenhass», Berlin 2023, Hanser Verlag