Silvan Meier Rhein / Aktuelles

22.06.2022

Forderungen für angebliche Pflegeleistungen einer dubiosen privaten Spitex-Firma abgewehrt

Die Pflege von beeinträchtigten Menschen in den eigenen vier Wänden ist eine gute Sache. Die Patienten leben weiter in ihrer gewohnten Umgebung, für das Gesundheitswesen fallen bedeutend tiefere Kosten an. Klar ist aber auch, dass eine Spitex-Organisation höchsten Ansprüchen an Vertrauenswürdigkeit, Transparenz und Regelkonformität genügen muss. Denn ihre Patienten sind oftmals nicht mehr in der Lage, Pflegedienstleistungen und Abrechnungen zu kontrollieren. Und da die Materie komplex und die Kontrolle durch die Krankenkassen nur punktuell erfolgt, der Bezirksrat bloss auf Beschwerde hin aktiv wird, tummeln sich in diesem Metier auch schwarze Schafe, wie der nachfolgende Fall aus unserer Praxis zeigt.

Dr. W. war früher Arzt, nach seiner Pensionierung erlitt er einen hämorrhagischen Schlaganfall und ist seither vollumfänglich pflegebedürftig. Gleichwohl haderte er nicht, wurde er doch von einer liebenden Ehefrau umsorgt und durch die öffentliche Spitex zuhause betreut. Wegen etwas grösserer zeitlicher Flexibilität übernahm die private Spitex-Organisation XY AG zunächst tagsüber die Grund- und Behandlungspflege, welche von der Krankenkasse zu tragen ist (KLV-Leistungen). Irgendwann schlug die Inhaberin der XY AG Frau W. vor, dass man auch noch die Betreuung am Abend übernehmen könne, es werde „garantiert keine Mehrkosten“ für die Familie W. geben, was übrigens so auch auf der Homepage dieser Firma stand («in der Region YX gleiche Leistungen wie die öffentliche Spitex ohne zusätzliche Kosten»). Frau W. willigte ein. Bald darauf machte die Inhaberin den Vorschlag, dass die jeweilige Pflegerin nach der Tagesschicht bei den W.’s ja auch im Haus warten könne, bis man dann um 19.00 Uhr Dr. W. für die Nacht vorbereitet. So könne man die Fahrten zum Geschäftssitz der Spitex und zurück einsparen. Wiederum willigte Frau W. ein.

Während rund 2 Monaten wurde das so gemacht, d.h. die Mitarbeiterinnen versorgten Dr. W. rund 2.5 Stunden täglich pflegerisch, den Rest der Zeit sassen sie auf dem Sofa, tranken Café, wurden von Frau W. bekocht, spielten mit dem Handy oder lasen Zeitung. Dann trafen plötzlich zwei Rechnungen der XY AG bei Frau W. ein mit welchen je rund CHF 44'000,-- für „Hauswirtschaft / Betreuung“ gefordert wurden. Wie sich später herausstellte, hatte die XY AG für den gleichen Zeitraum bereits rund CHF 28'000,-- monatlich für KLV-Leistungen eingestrichen! Frau W. meldete sich bei der Inhaberin, gab zu verstehen, dass das so nicht abgemacht war, sie sich solche Kosten nicht leisten könne. Die Inhaberin bestand auf umgehende Bezahlung, sonst werde sie ihre Pflegerin von heute auf morgen abziehen. Da Frau W. und ihr Mann kurz nacheinander an einem heftigen viralen Infekt erkrankt waren, zahlte diese aus Angst den geforderten Betrag.

Die nächsten zwei Monate vergingen, Frau W. genas langsam und begann nach einer neuen Spitex zu suchen. Zwischenzeitlich erklärte sie der Inhaberin der XY AG mehrmals, dass sie die Pflegekräfte für’s blosse Dasitzen nicht bezahlen werde. Obwohl dies nun geklärt schien, trafen dann wiederum zwei Rechnungen im Betrag von je rund CHF 44'000,-- ein, welche Frau W. zurückwies. Die XY AG beauftragte Inkassofirmen und leitete schliesslich die Klage ein.

Wie der Parteivertreter der advokatur rechtsanker im Prozess zeigen konnte, war zwischen den Eheleuten W. und der XY AG kein Vertrag über die Erbringung von horrend teuren und vollkommen nutzlosen „Leistungen“ zustande gekommen. Die Pflegekräfte hatten in der Zeit, in welcher keine KLV-Leistungen erbracht wurden, weder den Haushalt versehen noch jemanden betreut. Weiter zeigte sich, dass die Rapporte wahrheitswidrig ausgefüllt worden waren, die Inhaberin im Prozess nachweisbar log, die Grund- und Behandlungspflege vorschriftswidrig nicht durch Pflegefachpersonen HF, FH ausgeführt und damit auch zu nicht korrekten Tarifen gegenüber der Kasse abgerechnet worden war, dass sich die Staatsanwaltschaft wegen Unregelmässigkeiten bei anderen Patienten bereits mit der XY AG bzw. deren Inhaberin beschäftigte und dass der Bezirksrat dieser bereits einmal ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hatte. Das Bezirksgericht wies die Klage denn auch in allen Punkten ab (Bezirksgericht Uster, FV180009-I/Z04).

Während dem Prozess war Dr. W. verstorben, „friedlich eingeschlafen“, wie Frau W. berichtete. Sie wolle nach dem Obsiegen nicht mehr weiter gegen die XY AG vorgehen, sondern nach vorne blicken. Verständlich … und auch bedauerlich: Wie eine kurze Suche im Internet zeigt, ist die XY AG immer noch operativ.